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Januar 16th, 2016
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Cradle-to-Cradle, Dietmar Wiegand, Kreislaufwirtschaft, Recycling, Schweizer Energiefachbuch
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Wie können wir die Lebensgrundlage zukünftiger Generationen erhalten? Als Antwort auf diese Frage hat das Schweizer Energiefachbuch in vorangegangenen Ausgabensehr unterschiedliche, sich konkurrenzierende Konzepte präsentiert: Unseren Konsum einschränken und die Produktion entschleunigen – Stichwort Suffizienz. Den Nutzen der eingesetzten Ressourcen erhöhen und die negativen Externalitäten verringern – Stichwort Ökoeffizienz. Beide Prinzipien verstehen Nachhaltigkeit jedoch, so ihre Kritiker, lediglich als Reduzierung weiterhin linearer Stoffströme (von der Wiege zur Bahre) und als Minimierung der negativen Umweltauswirkungen daraus. Im diesjährigen Forum des Schweizer Energiefachbuch möchten wir das Konzept des Schliessens der Stoffkreisläufe1 skizzieren, das in der Literatur u.a. als Kreislaufwirtschaft (Circular Economy) und als Cradle-to-Cradle®-Design-Konzept bezeichnet wird und auch mit der Hoffnung verbunden ist, ohne Reue wieder verschwenderisch leben zu können – ohne negative Folgen für die Umwelt und damit für künftige Generationen, da die Stoffkreisläufe ja geschlossen sind. Angesichts der erst im Entstehen befindlichen Kreislaufwirtschaft ist die «intelligente Verschwendung», wie sie Michael Braungart bezeichnet, eher Programm als Realität. Die Notwendigkeit, Stoffkreisläufe zu schliessen, steht ausser Frage. Die Stoffkreisläufe sind bei den intensiven Bemühungen um Heizkessel mit besseren Wirkungsgraden und bei den Bestrebungen, den Energiebedarf von Gebäuden in ihrer Nutzungsphase zu reduzieren, ein wenig aus dem Blickfeld geraten.
Was ist Kreislaufwirtschaft bzw. was ist das Cradle-to-Cradle®-Design-Konzept?
Umweltzerstörung kann begriffen werden als die Unterbrechung von zeitlich unterschiedlich langen Stoffkreisläufen bei gleichzeitiger massenhafter Produktion und Akkumulation von Stoffen, die für die menschliche Umwelt und schliesslich für den Menschen selber schädlich sind. Am deutlichsten sichtbar wird diese Unterbrechung von Stoffkreisläufen beim Anblick von Mülldeponien und von Müllbergen, die an entlegenen Stränden angespült werden.
«Die Cradle-to-Cradle®-Idee wurde 1990 vom deutschen Chemiker und Verfahrenstechniker Michael Braungart und dem amerikanischen Architekten William McDonough ins Leben gerufen» (Braungart 2014). Unter dem Begriff Cradle-to-Cradle® wird versucht, (von der Wiege bis zur Wiege) geschlossene Produkt- bzw. Stoffkreisläufe herzustellen, wobei technische und biologische Kreisläufe unterschieden werden. Im technischen Kreislauf werden Produkte wieder zu «technischen Nährstoffen» der Produktion. Bei den biologischen Kreisläufen werden Produkte wieder in biologische Nährstoffe überführt und für die Produktion verwendet.
Der bewusste Versuch, Stoffkreisläufe zu schliessen, stellt einen Paradigmenwechsel dar. Während Massnahmen zur Steigerung der Öko-Effizienz der Produktion das Prinzip «Take – Make – Waste», aber auch das Prinzip der linearen Stoffströme von der Wiege zur Bahre nicht grundsätzlich in Frage stellen, sind geschlossene Stoffkreisläufe das explizite Ziel der Kreislaufwirtschaft. Es geht nicht darum, weniger schlecht zu produzieren, sondern um eine tatsächlich nachhaltige Produktion.
Geschlossene Stoffkreisläufe in der Produktion von Baustoffen oder Bauelementen sind jedoch nur dann tatsächlich nachhaltig, wenn u.a. auch die zum Recycling und für die Logistik notwendige Energie in geschlossenen Stoffkreisläufen aus erneuerbaren Quellen bereitgestellt wird. Unter dem Begriff des «Öko-Leasing» (Braungart 2014) wird ein neues Service-Konzept verstanden. Produkte – zum Beispiel Waschmaschinen, aber potenziell auch Fassaden von Gebäuden – werden vom Kunden genutzt, bleiben aber im Besitz des Herstellers. Dieses Konzept erleichtert die Wiederaufbereitung und die neue Nutzung von Produkten – das Schliessen von Stoffkreisläufen also, da die Produkte am Ende ihres Lebenszyklus’ wieder beim Produzenten landen. Gleichzeitig stiftet es doppelten Nutzen: Die Hersteller bleiben Eigentümer wertvoller Ressourcen. Die Kunden übernehmen keine «materiellen» Verpflichtungen das Recycling am Ende der wirtschaftlichen Lebenszeit eines Gebäudes oder eines Bauteils zu organisieren.
Warum gewinnt die Kreislaufwirtschaft aktuell an Bedeutung?
Klar ist, dass das Bauwesen massgeblich zum Ressourcenverbrauch und zum Abfallaufkommen beiträgt. Dies stellt nicht nur eine Gefahr für die Umwelt und unsere Gesundheit dar, sondern in zunehmendem Masse auch für die Produktion selbst und damit für das Wachstum von Firmen. Da die Beschaffung bestimmter Rohstoffe immer kostspieliger wird, rückt die gebaute Umwelt als Rohstofflager ins Blickfeld.
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Die Kreislaufwirtschaft gewinnt aber nicht nur durch knapper werdende Ressourcen an Bedeutung, sondern auch durch gesellschaftliche Entwicklungen. Eine Kultur der gemeinsamen Nutzung von Produkten als Alternative zum Eigentum gewinnt an gesellschaftlicher Akzeptanz: Car-Sharing, airbnbTM, Couch-Surfing, UBER etc. sind Stichworte der Share-Economy.
Neue technische Entwicklungen erlauben es, nach dem Cradle-to-Cradle®-Prinzip geplante und realisierte Gebäude wieder in sortenreine Ausgangsstoffe zu zerlegen und die Stoffe wieder einem technischen oder biologischen Kreislauf zuz
uführen. Down-Cycling, der Einbau von Bauschutt in Strassen, die Verbrennung von Müll o.Ä. kann vermieden und durch die Steigerung des Werts von Stoffen und Objekten (Up-Cycling) ersetzt werden.
Verschärfte Gesetze zur Wiederverwertung und Entsorgung von Baumaterialien und beim Rückbau von Gebäuden erzeugen zunehmend hohe Kosten, was auch zur Wertminderung von Immobilien führt, die nicht nach dem Cradle-to-Cradle® – Prinzip geplant und realisiert wurden.
Welche Geschäftsmodelle ergeben sich auf dem Weg zur Kreislaufwirtschaft?
Eine Studie der Beratungsfirma Accenture2 und eine darauf aufbauende Veröffentlichung (Lacy, Rutqvist 2015) identifizieren fünf Geschäftsmodelle, die sich aus einem Übergang der Wirtschaft in Richtung Kreislauflaufwirtschaft ergeben:
- Nutzung erneuerbarer Rohstoffe/Ressourcen: Erneuerbare Energien, Verwendung von biologisch abbaubaren und/oder rezyklierbaren Rohstoffen;
- Rückgewinnung von Ressourcen: Recycling von Rohstoffen und Rückgewinnung von Energie aus Abfällen;
- Verlängerung der Produktnutzungsdauer: Reparatur, Mehrfachnutzung und Wiederverkauf von Produkten und Komponenten;
- Tausch- und Teil-Plattformen: Erhöhung der Nutzungsrate von Produkten;
- Produktnutzung als Dienstleistung: Produktnutzungsmodelle anstatt Produktbesitz.
Eine Vielzahl solcher Geschäftsmodelle und Wertschöpfungsketten ist in allen Bereichen des Planens, des Bauens und des Betreibens denkbar. Sie werden in den kommenden Jahren entstehen. Die Beiträge von Valentin Brenner und Laura Cremer im Forum des Schweizer Energiefachbuchs 2016 zeigen Wege auf bzw. sind eindrucksvolles Beispiel dafür, wie diese Geschäftsmodelle im Bereich gebauter Umwelt mit Leben erfüllt werden können.
1 Konsistenz, Kreislaufwirtschaft, Öko-Effektivität sind weitere Begriffe in diesem Kontext
2 Circular Advantage: Innovative Business Models and Technologies to Create Value without Limits to Growth, siehe The Circulars (abgerufen am 16.10.2015)
Literatur
Michael Braungart: „Ressourceneffektive Produktion“. In: Reimund Neugebauer (Hg.): Handbuch Ressourcenorientierter Produktion. München und Wien: Hanser Verlag, 2014
Peter Lacy und Jakob Rutqvist: “Waste to Wealth: The Circular Economy Advantage”. New York: Palgrave Macmillan, 2015
Univ.Prof. Prof. h. c. Dipl.-Ind. Arch. Dietmar Wiegand
Fachbereich Projektentwicklung und -management
Department of Real Estate Development and Management
Schweizer Energiefachbuch, 2016, S.8-11.
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