Im Emirat Abu Dhabi wird aktuell versucht, für 40 Tausend Ein wohner eine Stadt zu bauen, die in der Nutzungsphase kein C02 emittiert1. Das allein wäre schon eine nähere Betrachtung des Projekts „Masdar City“ wert. Mit diesem Städtebauprojekt wird jedoch versucht viel mehr zu erreichen: Bildung von Humankapital in der Region im Bereich erneuerbare Energie durch Master und PhD-Programme, Technologieführerschaft im Bereich erneuerbarer Energie, die Lancierung neuer Produkte in Spin-offs und schlussendlich die Unterstützung des notwendigen strukturellen Wandels der Wirtschaft Abu Dhabis vom Lieferanten fossiler Energieträger (Erdöl- und Erdgas) zum Lieferanten erneuerbarerEnergie und dem Eigentümer der Rechte an der dafür notwendigen Technik.
Vieles, was von der Masdar City heute öffentlich sichtbar wird, stammt aus der „Feder“ professioneller PR-Abteilungen – der 2006 gegründeten Masdar In itiative oder des Büros Foster und Partner, die für den Masterplan verantwortlich zeichnen. Ein Ziel ist sicher erreicht: Die Masdar Initiative ist in der internationalen Community, die sich mit dem Klimawandel und erneuerbarer Energie beschäftigt, bekannt. Für eine differenzierte Betrachtung der Masdar City aus städtebaulicher oder energetischer Sicht ist es zu früh und der öffentlich bekannte Informationsstand ist sicher nicht umfassend genug. Dennoch sind es insbesondere drei Aspekte, die aufdie Frage nach der Übertragbarkeit eines Projekts wie Masdar City auf Europa zu einem klaren Ja – und sogar zu einer Empfehlung – führen:
- Die Zieldefinition für die Masdar Initiative, die weit über den Städtebau hinausgeht,
- Die Organisationsstruktur dieses komplexen Projekts, die, soweit dies nach aussensichtbar wird, professionell und sinnvoll geeignete Akteure in einem Netzwerk von Leistungsbeziehungen bindet,
- Das Umsetzungskonzept; eine Initiative oder besser ein Netzwerk erhält den Auftrag im Rahmen eines Städtebaus das zu beschleunigen und qualitätvoll zu gestalten, was wir Energiewende nennen und zwar schnell und kraftvoll.
Allein diese drei Aspekte sind es wert, sich aktiv damit auseinander zusetzen, Thesen zu wagen und Handlungsempfehlungen zu geben. Im Moment werden weder ernst zu nehmende Wissenschaftler/innen noch die Einwohner/innen der zahlreichen Regionen Europas, die mit einer massiven Zunahme der Extremwetterlagen konfrontiert sind, ernsthaft bezweifeln, dass der globale Klimawandel real stattfindet. Die Verbrennung fossiler Energieträger und die damit verbundenen Emission von C02 in die Erdatmosphäre haben dabei eine zentrale Bedeutung. Dass der Klimawandel auf das Leben und Wirtschaften in verschiedenen Regionen schon in den nächsten 10 bis 50 Jahren massive Folgen haben wird, ist unbestritten. Lediglich das Ausmass der Effekte, mögliche Massnahmen für eine effiziente Abschwächung des Klimawandels und sinnvolle Formen der Vorbereitung unserer Lebenswert darauf werden kontrovers diskutiert. Auch die Tatsache, dass der Klimawandel vom Menschen erzeugt wird, ist unbestritten – von Menschen, die individuell rational als oder für Wirtschaftssubjekte agieren, mit gesamtgesellschaftlich suboptimalen bis katastrophalen Folgen.
Es werden wieder individuell rational handelnde Wirtschaftssubjekte sein müssen, die den Klimanotstand bewältigen. Die Energieversorgung der Welt wird, auch wenn Einsparungen gelingen sollten, innerhalb weniger Jahre von der Verbrennung fossiler Energieträger auf erneuerbare, klimaneutrale Energieträger umgestellt werden müssen – wenig heisst in diesem Zusammenhang 10-30 Jahre. Technologie dafür ist vorhanden – von der Energieerzeugung mit Aufwindkraftwerken oder Biomasse bis zur verlustarmen globalen Verteilung elektrischer Energie mit Hochtemperatursupraleitern. Unklar ist, wer die Technologie massenhaft in die Anwendung bringt, wer mit der notwendigen Geschwindigkeit weltweit den notwendigen Umbau der Energiewirtschaft und der Produktion leistet und zumindest langfristig Wertschöpfung damit erzielt. Langfristige Gewinnerwartungen sind für privatwirtschaftliche Akteure ein Problem, wenn in Aktionärsversammlungen vierteljährlich Gewinnerwarlungen befriedigt werden müssen.
An dieser Stelle setzt die Masdar Initiative ein. Ziel der Initiative, die von der Abu Dhabi Future Energy Company – einem staatlichen Unternehmen – geleitel wird, ist es. heute die Weichen zu stellen, damit Abu Dhabi auch nach der Ausbeutung der Erdöl und Erdgasvorkommen ein globaler Energielieferanten bleibt. Zukünftig jedoch von erneuerbarer Energie. Da erneuerbare Energie weltweit vorhanden ist, wenn auch in unterschiedlichen Formen und unterschiedlich effizient zu erschliessen, wird Geschäfte machen, wer die Rechte an der Technologie besitzt. Rechte an der Technologie zur Umwandlung, zur Speicherung und zum Transport erneuerbarer Energie und die erneuerbare Energie selbst werden im Zeitalter des Klimawandels und steigender Preise für fossile Energieträger zu einem zentralen Geschäftsfeld Die Erschliessung dieses Geschäftsfelds ist offensichtlich der politische Auftrag der staatlichen Abu Dhabi Future Energy Company. Weltweit renommierte Partner wurden eingebunden: das MIT beim Aufbau von Humankapital in der Region, Siemens beim Aufbau des Technologieportfolios und Credit Suisse bei der Erschliessung von Kapital. Die „Masdar City“ ist als Städtebauprojekt das weltweit sichtbare Aussenbild der Initiative – Labor und PR gleichermassen. Schauen wir uns nun z.B. die politischen Zielvorgaben der staatliche Unternehmen in Österreich an, von denen all ein die Stadt Wien 65 besitzt, so finden wir gerade bei den Immobilien- und Projektentwicklungsgesellschaften häufig den Auftrag privatwirtschaftlich zu agieren und Gewinne zu erwirtschaften. Ein Blick in Musgraves Theorie2 der öffentlichen Güter reicht, um festzustellen, dass die Reduzierung staatlicher Unternehmen auf privatwirtschaftliche Ziele unsinnig ist, wenngleich für die Beschäftigten der Unternehmen nicht uninteressant. Die Ziele staatlicher Unternehmen können und müssen zukünftig mehrere öffentliche Ziele strategisch bündeln. Die Qualifizierung des wirtschaftlichen Strukturwandels, die Schaffung eines Technologieportfolios, die Bildung von Humankapital oder die Entwicklung der erneuerbaren Energien als Geschäftsfeld – die Abu Dhabi Future Energy Company ist in diesem Sinne übertragbar.
Die Lösung der gesellschaftlich relevanten, komplexen dynamischen Probleme – und der Klimawandel stellt ein solches dar – kann nur von Netzwerken verschiedener Akteure geleistet werden. Solche Projekte und Initiativen gibt es in Österreich, z. B. das EnergyLand der Stadt Weis in Oberösterreich3. Die Region versucht sich im Bereich erneuerbarer Energien zu profilieren und dazu Aktivitäten von Stadt, Bundesland, Fachhochschule und Wirtschaftspartnern zu integrieren. Von der IBA Emscherpark4 bis zur Koppelschleuse in Meppen5 finden wir auch in Deutschland erfolgreiche Initiativen und Netzwerke. Betrachten wir das Netzwerk bzw. die organisatorische Landschaft der Masdar Initiative, so macht die Qualität der Einbindung privatwirtschaftlicher Akteure und die konsequente Einbindung weltweit renommierter Akteure dennoch neidisch. Wir verfügen u.a. in der Schweiz, Öst erreich und in Deutschland über die Technologie und das Humankapital, das in Abu Dhabi gesucht wird. Staatliche Organisationen, angefangen bei den Hochschulen, müssen zukünftig stärker als bisher grossmassstäblich global denken, global vernetzt handeln und versuchen die Interessen privatwirtschaftlicher Akteure und privater Kapitalgeber in ihre Strategien einzubeziehen. Dies bedeutet konkret Entwicklung von Geschäftmodellen, Leistungsbeziehungen und Beteiligungsmodellen, sinnvolle Risikoallokation u.v.m. im öffentlichen Interesse! Auf gaben, die bisher nicht zum Kerngeschäft der Verwaltungen gehörten und zudem Verlockungen enthalten. Das heisst: Die bestehenden staatlichen Organisationen sind innerhalb von zwei bis fünf Jahren auf ihre Eignung zur Bewältigung der Herausforderungen der Zukunft zu überprüfen, ggf. radikal umzustrukturieren oder durch neue zu ersetzen.
Kritiker einer Übertragbarkeit der Masdar Initiative oder der Masdar City auf europäische Verhältnisse mögen anmerken, dass unsere Städte schon gebaut sind, dass wir keine grossen Stadterweiterungen planen und dass die Sonne nicht genug scheint. ln der Stadt Wien wird auf 240 ha Fläche eine Stadterweiterung für rund 20’000 Einwohner/innen entwickelt Die Voraussetzungen für die Übertragung der Ziele der Masdar Initiative in adaptierte Form sind gut, denn die Grundstücke des ehemaligen Flugfelds Aspern6 befinden sich im Besitz des Bundes und der Wiener Wirtschaftsförderung. Bei der Betrachtung des Stands dieses Wiener Projekts wächst der Wunsch nach klaren politischen Zielvorgaben, die jenen der Masdar Initiative ähnhch sein dürfen, und einer dafür geeigneten organisatorischen Projektlandschaft.
So drängt sich abschliessend der Verdacht auf, dass wir zukünftig insbesondere bei staatlichen Organisationen vermehrt individuelle und organisatorische Kompetenz zur Umsetzung komplexer, weil mit mehreren Zielen versehener, öffentlicher Entwicklungsvorhaben aufbauen müssen. Die über dreissig Fallstudien zu den Entwicklungsprozessen von Immobilienprojekten zumeist mindestens mit staatlicher Beteiligung, die wir an der TU Wien im Auftrag des Deutschen Seminars für Städtebau und Wirtschaft aktuell durchführen, bestätigen diesen Verdacht. Die Verbesserung der Prozesse, der organisatorischen Landschaft und der Akteure öffentlicher und privater Immobilienprojekte ist ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg zu einer klimaneutralen Energieversorgung -unabhängig davon, ob wir an Europa eine Masdar City sehen wollen oder nicht.
Masdar – die Schweiz will sich aktiv beteiligen
Der Schweizer Botschafter in Abu Dhabi, Wolfganz Amadeus Brülhart, möchte seine Botschaft nach Masdar verlegen. Damit wäre die Schwerz das erste Land, das seine Botschaft in der Ökostadt eingerrchtet hätte. ln Masdar sollen 24 Milliarden Doller investiert werden. 15 Milliarden stammen aus den Kassen des grössten und ölreichsten der sieben Emirate. Das restliche Geld soll von privaten Investoren aus aller Weit aufgebracht werden So ste ll t Masdar eine Bedingung an die Schweiz: Die Botschaft soll mindestens 20 Unternehmen mitbringen. Statt eines Botschaftsgebäudes samt Residenz soll gleich ein ganzes „Swiss Village“ eingerichtet werden. Das dafür vorgesehene Gelände, immerhin 4 Prozent der Gesamtfläche, liegt zentral neben der Universrtät. Hier wäre ausser für Unter nehmen der Umwelttechnologien auch Platz für ein Spital, ein Hotel, Cafes… Die Planungsfirma „Maxmakers“ wirbt für interessierte Firmen. Das „Schweizer Dorf“ soll 2012 fertiggestellt sein, ganz Masdar dar 2016
Univ.Prof. Prof. h. c. Dipl.-Ind. Arch. Dietmar Wiegand
Fachbereich Projektentwicklung und -management / Technische Universität Wien
Department of Real Estate Development and Management / Vienna University of Technology
Schweizer Energiefachbuch, 2009, S.6-11.
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Anmerkungen zum Text
1 s.u.a. www.masdaruae.com
2 Musgrave; Kullmer (1990): Dre öffentliclien Finanzen in Therorie und Praxis 1; Mohn Tübingen
3 www.energyland.at
4 www.iba.nrw.de
5 www.koppelschleuse-meppen.de
6 www.flugfeld-aspern.at
7 An den ersten Masterplänen durfte ich bereits 1992 für das Büro StadtBauPlan in Darmstadt mitwirken.