Ökologie ist auch die dringend notwendige Intensivierung der Raumnutzung über die Zeit.
Ein gedankliches Experiment: In einem großen Portfolio von Immobilien sind zwei Gebäude – denken wir an eine Schule und an einen Verwaltungsbau – weitgehend ungenutzt. Tagsüber wird in der Schule maximal jeder zweite Raum, im Verwaltungsgebäude maximal jeder vierte Arbeitsplatz genutzt. An den Wochenenden, manchmal auch mehrere Wochen hindurch, bleiben die Räume und Arbeitsplätze ohne jegliche menschliche Nutzung, nachts ohnehin. Würden wir diese Gebäude mit erheblichem finanziellen Aufwand energetisch sanieren? Vermutlich würden wir zunächst versuchen, die Gebäude einer intensiveren Nutzung zuzuführen, um die Investitionen zu rechtfertigen, oder versuchen, die geringe Nutzung in einem anderen ebenso wenig genutzten Gebäude unterzubringen und dieses energetisch verbessern.
Der erste Teil des gedanklichen Experiments ist Wirklichkeit – die geringe Ausnutzung der Gebäude betrifft aber nicht einzelne bestehende Immobilien. Sie stellt Durchschnittswerte ganzer Immobiliensegmente in Österreich, Deutschland und der Schweiz dar, wie aktuelle wissenschaftliche Untersuchungen gezeigt haben. Klassenzimmer stehen 90 %, Hörsäle 92 % und Büroarbeitsplätze 95 % der potenziellen Nutzungszeit leer, müssen aber finanziert, geheizt, gekühlt und instand gehalten und über Straßen und Leitungswege miteinander verbunden werden. Selbst wenn nicht 24 Stunden an 365 Tagen als potenzielle Nutzungszeit angenommen werden, sondern die Unterrichts-, Vorlesungs- und Arbeitszeiten einer Einrichtung, klingen die Nutzungsraten der Räume – zwischen 20 % und 50 % – unglaublich. Gleichzeitig empfinden die Nutzer der Immobilien Enge und Raumnotstand; Schulen z. B. unterlassen wegen Raumnot den Übergang zum Ganztagsbetrieb.
Der zweite Teil des gedanklichen Experiments ist Utopie. Weder seitens der Bauherrenschaft oder staatlicher Fördereinri
chtungen noch in den Debatten um den Klimawandel und die Energiewende ist ein Bewusstsein feststellbar, dass die intensive Nutzung bestehender oder geplanter Immobilien einen Beitrag zum Umweltschutz
darstellt. Keine der knapp dreihundert untersuchten Bildungseinrichtungen, Behörden und Unternehmen erhebt aktuell geeignete Daten zur Intensität der Raumnutzung, obwohl nur sehr wenige Daten notwendig wären. Keine der untersuchten Einrichtungen verfügt über geeignete Organisations- und Anreizstrukturen für das Flächenmanagement oder Werkzeuge zur Intensivierung. Der Versuch, die erheblichen, mit dem Gebäudebestand verbundenen klimarelevanten Emissionen zu reduzieren, gleicht angesichts der geringen Nutzung dieses Bestands einem volkswirtschaftlichen Kamikaze-Flug. Aber wie sehen die Lösungsansätze aus?
Schaffung von Bewusstsein und Motivation
Auswege aus dem Dilemma beginnen mit der Schaffung von Bewusstsein. Und Intensivierung der Nutzung heißt in diesem Zusammenhang explizit nicht vier Personen statt zwei im selben Zellenbüro. Sie entsteht z. B.:
- in Büros durch die zeitliche Nacheinandernutzung vielleicht viel größerer, je nach Tätigkeit durchaus verschiedener Arbeitsplätze, die in der Summe weniger Fläche benötigen, aber bei den Nutzern das Gefühl von „mehr verfügbarem Raum“ erzeugen,
- in Schulen durch intelligentere Formen der dynamischen Zuordnung des Unterrichts zu Räumen oder Lernlandschaften, wodurch 40 % der Fläche für den allgemeinen Unterricht eingespart und anderen Nutzungen zur Verfügung gestellt werden könnten.
Aktuell sind häufig gar keine für die Änderung des Flächenmanagements zuständigen Institutionen oder Personen identi
fizierbar. Initiativen zur Nutzungsintensivierung können bottom-up und topdown entstehen. Veränderungen sollten zudem einvernehmliche erfolgen.
Aufbau von Kompetenzen und Anreizstrukturen
Die Erhebung der Potenziale zur Intensivierung der Raumnutzung benötigt wenige Daten zu den Nutzungse
inheiten
und den vorhandenen Räumen, ohne diese Daten geht es jedoch nicht. Unter www.more-space.org stehen bereits einfache Werkzeuge zur Ermittlung der Potenziale im eigenen Betrieb zur Verfügung. Die Entwicklungen wurden aus Mitteln der Technologieagentur der Stadt Wien ZIT gefördert.
Die Erschließung der Potenziale zur Nutzungsintensivierung benötigt das Zusammenspiel von Personen mit Kompetenzen aus mindestens vier Bereichen:
- Organisationsentwicklung – häufig sind Veränderungen in den Prozessen und Organisationsstrukturen notwendig.
- Flächenmanagement – die Möglichkeiten reichen von der intelligenten Verteilung zeitlich befristeter exklusiver Nutungsrechte bis hin zur spontanen Aneignung.
- Bauplanung – Planer müssen in der Lage sein, die geeignete Infrastruktur für dynamisches Nutzen zu entwickeln.
- Simulation – die Potenziale zur Nutzungsintensivierung werden häufig durch dynamische, sogenannte ereignisgetriebene Computersimulationen überhaupt erst erkannt und ermöglicht, da die Komplexität bei einer dynamische Betrachtung der Nutzung extrem hoch ist.
Die Europäische Initiative More-Space (www.more-space.org) bemüht sich mit ihren Partnern sowohl um die Schaffung von Bewusstsein als auch um den Aufbau von Kompetenzen. Die non-profit-Initiative ist offen für neue Partner.
Grundsätzlich gilt, dass diejenigen, die an einer Intensivierung der Raumnutzung mitwirken müssen, auch einen wahrnehmbaren Benefit erhalten müssen. Zertifikate und Förderungen für das Ressourcen sparende und die Umwelt schonende Bauen werden zukünftig
die Intensität der Nutzung der Gebäude berücksichtigen müssen.
Last but not least – Veränderungen müssen Spaß machen. Noch wird das Aufklappen des Bettsofas im Wohnzimmer oder die gemeinsame Nutzung eines Arbeitsplatzes nicht per se als „cool“ wahrgenommen, doch die zunehmende Zahl jener, die ihre morgendliche Zeitung auf einem Tablet PC genießen, zeigt deutlich, das kultureller Wandel möglich ist.
Univ.Prof. Prof. h. c. Dipl.-Ind. Arch. Dietmar Wiegand
Fachbereich Projektentwicklung und -management / Technische Universität Wien
Department of Real Estate Development and Management / Vienna University of Technology
Beilage zur Tageszeitung „Der Standard“, Ausgabe 1 (2012), S. 26 – 28.
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