Zusammen mit Partnern1 untersucht der Fachbereich Projektentwicklung und -management der TU Wien die Energieeffizienz von Gebäuden im Sinne der „Leistungsfähigkeit“ von Immobilien und sucht nach Möglichkeiten, diese zu verbessern. ln Anlehnung an den physikalischen Begriff der Leistung – also Energie pro Zeiteinheit- wird die notwendige Energie für die Ermöglichung von menschlichen Aktivitäten in Gebäuden erforscht. Die Nutzungs(zeit) einheitenwerden bei Bildungs- oder Bürogebäuden unterschiedlich quantifiziert. Je nach Energieträger und Effizienz der Energiewandler ist der Energiebedarf der einzelnen Nutzungseinheiten unterschiedlich, variieren die C02-Emissionen und resultieren – in Abhängigkeit von Beschaffenheit und Gebäude-Management – andere Nutzungskosten.
Nutzungsintensivierung durch Nacheinandernutzung- das Grundkonzept
Neu an diesem Ansatz ist, dass Nutzungskosten und C02-Emissionen auf Nutzungseinheiten bezogen werden und nicht auf ein Gebäude insgesamt. Dieser Denkansatz ist im Zusammenhang des Baus von ökoeffizienten Gebäuden und „smart cities“ äusserst vielversprechend, da der Hebel genau dort angesetzt werden kann, wo Energie sonst sinnlos „verloren“ ginge.
Bereits vor 40 Jahren hat der Architekt Ot Hofmann das Prinzip der Nutzungsintensivierung durch Nacheinandernutzung eindrucksvoll beim Bau seiner eigenen Wohnung im sogenannten Baumhaus realisiert, das sich in der Innenstadt von Darmstadt befindet. Ca. 120 m2 stützenfreie Fläche, mehrheitlich mit einer lichten Höhe von rund 4 Metern, können nacheinander mit unterschiedlichsten Nutzungen bespielt werden. Durch aufklappbare oder unter die Decke zu ziehende Möbel, geeignete Führung der Versorgungsleitungen u. a. ergeben sich stark vereinfacht über den Tag: 120m2 Küche und Esszimmer, 120m2 Malatelier, 120m2 Schreibwerkstatt, 120m2 Ausstellungsfläche und 120 m2 Schlafzimmer. Würden diese Nutzungen nicht nacheinander in ein- und demselben Raum organisiert, müssten -wiederum stark vereinfacht – rund 600 m2 Nutzfläche finanziert, gebaut, gekühlt, beheizt, erhalten sowie -mit Wegen und Leitungen- verbunden werden.
Übertragen auf den leichter quantifizierbaren Bürobau bedeutet dies: Wenn es bei gleichbleibender Arbeitsplatzqualität durch geschickte Organisation der Raumnutzung über die Zeit gelingt, auf15m2 Brutto-Geschossfläche (BGF) statt auf 60m2 BGF die Arbeit eines Vollzeitäquivalents (VZÄ) zu ermöglichen, wäre ein Gebäude mit einem Heizwärmebedarf (HWB) von 120 kWh/m2 einem Gebäude mit 30 kWh/m2 hinsichtlich seiner ökologischen Nachhaltigkeit – bezogen auf den HWB-gleichwertig.
Forschungsergebnisse und Modellimplementierungen im Schulbau
So einprägsam die Wohnung von Ot Hofmann ist: Für die Untersuchung der Potenziale zur Nutzungsintensivierung durch Nacheinandernutzung bieten sich zunächst die Schulbauten an, denn hier werden bereits Räume intensiv durch verschiedene Klassen geplant und nacheinander genutzt: Die sogenannten Fachräume. Da der Unterricht in vielen Schulen der Schweiz, Österreichs und Deutschlands im Klassenverband organisiert ist, erhalten die Klassen in der Regel exklusiv und für ein oder mehrere Jahre ein Klassenzimmer zugeteilt, in dem der allgemeine Unterricht stattfindet. Die Schulleitung legt dann fest, an welchen Tagen und zu welchen Stunden welche Klasse einen Fachraum für Physik, Biologie o.ä. belegen darf. Der entscheidende Nachteil dieses Prinzips der Organisation der Raumnutzung über die Zeit: Wenn sich die Klasse im Fachunterricht befindet, steht der Klassenraum leer, in dem ohnehin nur während der Hälfte des Jahres Schulunterricht vorgesehen ist.
Eine intensivere Nacheinandernutzung über die Zeit lässt sich im Prinzip auf drei Wegen erreichen:
- Die Stärkung des Klassenraumprinzips; d.h. der Fachunterricht findet mit Ausnahme zum Beispiel von Chemie und Sport im Klassenzimmer statt; denkbar sind auch differenzierte LernIandschaften, die einer Jahrgangsstufe vorbehalten sind.
- Die Stärkung des Fachraumprinzips mit Kursräumen für den allgemeinen Unterricht; d.h. der Fachunterricht verbleibt in spezialisierten Räumen, die allgemeinen Unterrichtsräume werden intensiv nacheinander als sogenannte Kursräume belegt, die nicht exklusiv einer einzigen Klasse zur Verfügung stehen.
- Die Einführung des Lehrer/innen/raumprinzips; d.h. nicht die Schulklassen, sondern die Lehrer/innen mit ihren Lernangeboten werden Räumen zugeordnet und die Schüler/innen bewegen sich zu den Lernangeboten (bei Teilzeitbeschäftigung der Lehrer/innen, desksharing).
Dynamische Simulationen des Schulbetriebs über ein Jahr am Beispiel des Bildungszentrums SeeCampus Niederlausitz an der ETH Zürich haben bereits 2006 gezeigt, dass durch den Übergang vom bisher praktizierten Klassen- und Fachraumprinzip zu einem der drei genannten alternativen Prinzipien des Flächenmanagements jeweils rund 40% der Nutzflächen für den Unterricht anderen Nutzungen zugeführt oder Erweiterungen der Lernflächen zur Verfügung gestellt werden können. Veränderungen der Räume für neue Lehr- und Lernkonzepte werden ebenso möglich wie die Aufnahme weiterer Nutzungen und Nutzer/innen. Nach einer repräsentativen bundesweiten Studie des Fachbereichs Projektentwicklung und -managementder TU Wien weisen die AHS Bundesgymnasien in Österreich die gleichen Optimierungsmöglichkeiten auf2. Die Nutzung dieser Flächen als Alternative zu baulichen Erweiterungen würde helfen, ca. 80 Millionen Euro Baunutzungskasten pro Jahr und rund 5000 Tonnen C02 –Emissionen pro Jahr einzusparen3.
Nutzungsintensivierung mithilfe dynamischer Simutationen im Hochschulbetrieb
Die Belegung von Räumen durch unterschiedliche Nutzer/innen nacheinander wird insbesondere im Hochschulbetrieb praktiziert. Allein an der TU Wien werden in den rund 220 allgemein buchbaren Lehrräumen pro Studienjahr rund 90’000 Raumzeitfenster- im Umfang von einer Stunde- für Lehrveranstaltungen unterschiedlichster Fakultäten und Studienrichtungen reserviert bzw. gebucht. Die TU Wien bemüht sich aufgrund knapper Finanzmittel seit 2008, wegen seiner Innerstädtischen Lage mit nur beschränkten räumlichen Er Kompeweiterungsmöglichkeiten und stark steigenden Studierendenzahlen Potenziale zur Nutzungsintensivierung der allgemein buchbaren Lehrräume umzusetzen. Mit finanzieller Unterstützung des Zentrums für Innovation und Technologie der Stadt Wien (ZIT) konnten dynamische, ereignisgetriebene Simulationen (Discrete EVent Simulations DEVS) entwickelt werden, die massgeblich zur Organisation verbesserter Nacheinandernutzung beitragen.
Im Rahmen der praktischen Implementierungen verbesserter Formen des Flächenmanagements der Lehrräume (siehe Grafik 3) wurden in vier Bereichen Potenziale zur Nutzungsintensivierung durch Nacheinandernutzung erreicht, die (1) im systemischen Zusammenspiel betrachtet werden müssen und (2) jeweils spezifische Kompetenzen der Erschliessung erfordern. Die wesentlichen «Lessons learnt» in den einzelnen Bereichen sind:
Buchungsprozesse
Buchungsprozesse sollten als Geschäftsprozesse definiert, beschlossen, visualisiert (zum Beispiel als BPM) und kommuniziert werden. Die Prozesse selbst und die dazugehörige IT sollten die Möglichkeit der präzisen Bedarfsartikulation (wann und wann nicht, für wie viele Studierende, welcher Raumtyp) bieten und ggf. auch Anreize zum sparsamen Umgang mit der Ressource Raum enthalten. IT-Lösungen, ebenfalls Akteure im Rahmen von Buchungsprozessen, können unbemerkt die zentrale Quelle von Ineffizienz sein. Die Veränderung tradierter Geschäftsprozesse braucht Kompetenzen im Change Management, um Akzeptanz zu finden.
Flächenmanagement
Flächenmanagement meint hier die Vergabe von zeitlich befristeten Nutzungsberechtigungen für Lehrräume und hat entscheidenden Einfluss auf den effizienten Einsatz der knappen Ressourcen Raum und Finanzmittel Flächenmanagement ist als eine zentrale Managementaufgabe zu begreifen und mit der entsprechenden Sorgfalt und IT-Unterstützung (dynamische Simulationen) zu organisieren. In Zeiten knapper Finanzmittel sollten Lehrräume durch eine möglichst grosse Anzahl von Fakultäten und Institute nutzbar sein, da dies die Chance zur intensiven Nacheinandernutzung um den Faktor 2 bis 4 erhöht. Buchungsanfragen sollten zentral gesammelt und mit Hilfe moderner mathematischer Methoden (DEVS) näherungsweise optimiert abgearbeitet werden. Dies schliesst die Festlegung, dass eine bestimmte Lehrveranstaltung immer zu einer bestimmten Zeit in einem bestimmten Raum stattfinden muss sowie optimierte Wegzeit zwischen den Lehrveranstaltungen u. a. nicht aus – im Gegenteil.
Lehr- I Unterrichtsräume
Lehr- und Unterrichtsräume, die mehr als nur einen Lehrveranstaltungstyp aufnehmen können, erhöhen die Chancen des zentralen Flächenmanagements, Nacheinandernutzungen effizient zu organisieren. Übertragungsmöglichkeiten zwischen Hörsälen helfen, Auslastungsspitzen und Buchungskonflikte zu bewältigen. Vorausschauende dynamische Simulationen des Lehrbetriebs und eine begrenzte Anzahl von Hörsälen, die geteilt oder verbunden werden können, ermöglichen es, den Nutzungsmix der Räume pro Semester oder wachen- und/oder tageweise anzupassen, um Auslastungsspitzen zu meistern.
Aber: Fehlende Informationen
An keiner der bisher untersuchten Universitäten waren die für ein professionelles Flächenmanagement notwendigen Daten vorhanden und als Informationen für das Flächenmanagement verknüpft. Fehlende Informationen für das Flächenmanagement s ind ein Phänomen, das sich nicht auf die Universitäten beschränkt. Informationen für das Management sind aber die Basis und der Schlüssel für die effiziente Organisation der Raumnutzung über die Zeit bzw. für die Nutzungsintensivierung durch Nacheinandernutzung. Basisdaten, zum Beispiel zu den Lehrräumen, müssen vorhanden sein; Prozessdaten können en passant aus den Geschäftsprozessen erhoben werden. Die vorausschauende Verbesserung der Räume, des Flächenmanagements und der Buchungsprozesse benötigt ereignisbasierte Simulationen. Die dynamischen Simulationswerkzeuge leisten in diesem Kontext Folgendes:
- Systemalternativen. Klärung der Frage: Mit welchen Systemalternativen (Flächenmanagement, Räume, Nutzerverhalten usw.) wird mit: der Ressource Raum am effizientesten umgegangen?
- Systemgrenzen. Klärung der Fragen: Wie viele Unterrichtseinheiten und Studierende kann das System (Flächenmanagement, Räume, Nutzerverhalten usw.) maximal aufnehmen? Wie viele Räume können zu Sanierungszwecken gesperrt werden, ohne den Lehrbetrieb zu gefährden?
- Raumprogramm. Erstellung von näherungsweise optimierten Raumprogrammen für die kommenden Semester.
- Vorschläge. Erstellung von näherungsweise optimierten Vorschlägen zur Raumbelegung über die Zeit: Zum Beispiel an der TU Wien: Verteilung der rund 90’000 Lehrveranstaltungstermine auf Raumzeitfenster.
Zusammenfassung und Ausblick
Bezogen auf die maximale potenzielle Nutzungszeit von 24 Stunden an 365 Tagen verfügen die bisher untersuchten Bildungsgebäude in Österreich über folgende Auslastungen:
Klassenzimmer für den allgemeinen Unterricht: 10%;
Allgemein buchbare Lehrräume in Hochschulgebäuden: 8%.
Nicht repräsentative Untersuchungen in Deutschland und der Schweiz bestätigen diese Zahlen.
Eine in der Zeitschrift Mensch & Büro 19944 veröffentlichte Untersuchung der DEGW (London) und der Teknibank (Milan) nennt für Büroarbeitsplätze eine Auslastung von nur 5%. ln einigen Unternehmungen wurde derweil auf die weitere Zunahme der mobilen Arbeit mit shared workspace (desksharing, hotelling oder hotdesks) reagiert. Aktuelle Untersuchungen in einem deutschen und einem Österreichischen Unternehmen zeigen jedoch, dass für Teilzeitbeschäftigte, für Mitarbeitende in alternierender Telearbeit und mehrheitlich mobilarbeitende Personen noch immer exklusive Nutzungsrechte an Büroarbeitsplätzen vergeben werden. Gebäude, die betriebliche und öffentliche Infrastruktur darstellen, stehen zwischen 90 und 95% der Zeit ihrer Existenz leer. Förderungen für umweltschonendes Bauen und Immobilienzertifikate für nachhaltige Gebäude werden gleichzeitig ohne Bezug zur Intensität der Nutzung vergeben, obwohl es einleuchtend ist, dass der ökologische Fussabdruck pro Nutzungseinheit reduziert werden muss und nicht der Energiebedarf von nahezu ungenutzten Gebäuden.
Zur Intensivierung der Nutzung der gebauten Umwelt hat der Fachbereich Projektentwicklung und -management der TU Wien die Europäische Initiative „More Space“ gestartet (siehe www.more-space.org), um in einem sozialen Netzwerk die Datenlage und das Wissen um geeignete Strategien zur Nutzungsintensivierung zu verbessern und Erfahrungen zu teilen. Schliesslich geht es darum, die Praxis der Planung, des Baus und des Managements gebauter Umwelt nicht nur zu verändern, sondern zu optimieren.
Fussnoten
1 Institut für Analysis und Scientific Computing, Ort; dwh GmbH Simulation Services, Ort, siehe auch http://sim.drahtwarenhandlung.at/
2 Rath, Caroline, Kovacs, Alexandra; Titel. Ort: Verlag, Jahr (bisher unveröffentlichte Forschungsarbeit; Veröffentlichung im Herbst 2011)
3 ebenda, S.
4 Mensch & Büro, Heft 2 I 1994. Heidelberg: Gurt Haefner-Verlag, 1994, S. 30
Univ.Prof. Prof. h. c. Dipl.-Ind. Arch. Dietmar Wiegand
Fachbereich Projektentwicklung und -management / Technische Universität Wien
Department of Real Estate Development and Management / Vienna University of Technology
Schweizer Energiefachbuch, 2012, S.111-114.
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