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März 16th, 2015
Tags:
Alexandra Kovacs, datev, Dietmar Wiegand, more space, Schweizer Energiefachbuch
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Der IT-Dienstleister DATEV eG nutzt die dynamische Simulationslösung More-Space-Office für ihren im Bau befindlichen IT-Campus 111 in Nürnberg und übernimmt damit eine Vorreiterrolle bei der nachhaltigen Nutzung von Büroimmobilien.
Die DATEV ist seit 1966 Dienstleister für seine genossenschaftlichen Mitglieder – Steuerberater, Wirtschaftsprüfer und Rechtsanwälte – sowie deren Mandanten. Vom Unternehmenssitz in Nürnberg aus sowie durch 26 Niederlassungen in Deutschland und 2 Informationsbüros in Berlin und Brüssel hat die DATEV 2012 mit mehr als 6500 Mitarbeitenden einen Umsatz von rund 760 Mio. erwirtschaftet.
Mit der guten Geschäftsentwicklung der letzten Jahre einhergehend ist DATEV immer weiter gewachsen. In den Bestandsgebäuden wurden insbesondere Besprechungs- und Projektflächen sowie strategische Flächenreserven (vorgehalten für weitere Personalsteigerungen und zur Umzugsdisposition) nach und nach reduziert. Ende 2011 wurde daher die Entscheidung für einen Neubau durch den Vorstand getroffen. Im DATEV IT-Campus 111 sollen in 2015 ca. 1800 Arbeitsplätze für die Softwareentwicklung des Hauses bereitgestellt werden. Ziel des Neubauprojektes ist neben der Rückgewinnung strategischer Flächenreserven auch die Zusammenführung der Softwareentwicklung an einem zentralen Standort, die heute auf vier Standorte verteilt ist. Durch die Zusammenführung sollen Synergien genutzt und Wegezeiten und -kosten gespart werden. Die Anforderungen an einen modernen Bürostandort sowie die individuell unterschiedlichen Arbeitsweisen werden dabei durch
- Büroarbeitsplätze in offener Bürostruktur,
- dezentrale Rückzugs-, Besprechungs-und Projekträume,
- ein zentrales Konferenzzentrum,
- ein zentrales Testcenter für Softwaretest,
- ein Casino sowie
- mehrere günstig gelegene Coffeepoints in ausreichender Anzahl und Grösse
ideal unterstützt.
Der IT-Campus 111 bietet sowohl im Inneren als auch in der unmittelbaren Umgebung vielfältige Arbeitssituationen an, die die Kommunikations- und Interaktionsprozesse zwischen den Mitarbeitern und Organisationseinheiten vereinfachen und im Vergleich zum heutigen Büroumfeld verbessern werden. Durch den attraktiven, modernen Neubau erwartet DATEV auch einen nennenswerten Beitrag zur Steigerung der Arbeitgeberattraktivität.
Pilotprojekt Innovum
Das zügige Wachstum bedingte bereits in 2012 den Bedarf nach weiterer Bürofläche, die vor Fertigstellung des IT-Campus 111 zur Verfügung stehen musste. Grundlagen für die Suche nach geeigneten Flächen waren neben der Abdeckung des kurzfristigen Flächenbedarfs insbesondere die Attraktivität der Flächen und der direkten Umgebung sowie die Möglichkeit, dort die neue Büroform, die auch im IT-Campus 111 entstehen wird, zu pilotieren. Das Vorhaben wurde Innovum getauft.
Nutzer der Pilotfläche im Projekt Innovum ist eine Organisationseinheit aus der Softwareentwicklung, also des Bereichs, der später auch im Neubau einziehen wird. Auf diesem Wege konnte im Schulterschluss zwischen Facility Management und Softwareentwicklung die Eignung der offenen Bürofläche für Einheiten aus der Softwareentwicklung validiert und Akzeptanz für die offene Bürogestaltung im Allgemeinen und den IT-Campus 111 im Speziellen geschaffen werden. Gleichzeitig war es auch ein Ziel, durch das Pilotprojekt Nutzungsdaten zu erlangen, die eine solide Grundlage für die Flächenplanung des IT-Campus 111 liefern sollten.
Das Facility Management und die Nutzer konnten im Projekt Innovum wertvolle Erfahrungen im Umgang mit der offenen Fläche und deren Betrieb und Nutzung sammeln, die in den IT-Campus 111 einfliessen. Durch das erstmalige Erleben des Arbeitens in einem modernen, offenen Büroumfeld konnten die zum Teil starken Vorbehalte (Angst vor Kontrolle, akustische Ablenkung, psychische Belastung) gegenüber dem neuen Bürokonzept bei vielen Mitarbeitenden der Softwareentwicklung abgebaut werden. Die vorhandenen Flexibilitäts- und Freiheitspotenziale der Fläche konnten sich die Nutzer in der Praxis zu weiten Teilen selbst erarbeiten. Das Facility Management als Partner gab hierzu nur grobe Rahmenbedingungen und Ideen vor, innerhalb derer die Nutzer des Innovum frei gestalten konnten. Auf diesem Wege konnte das mit dem Innovum verbundene Ziel einer nutzerzentrierten Qualitäts- und Akzeptanzsicherung ideal unterstützt werden. Bereits in der Planungsphase wurden Führungskräfte und Mitarbeitende der Innovum-Nutzer in das Projekt einbezogen. Ideen und Wünsche konnten berücksichtigt
und im Innovum abgebildet werden wie z. B. zwei individuell gestaltete Rückzugs- und Besprechungsräume: das «Wiener Café», (Abbildung 3) sowie das «Kino» (Abbildung 4).
Die nutzer-spezifische Gestaltung von Fläche mit entsprechender Identitäts- und Identifikationskraft trug massgeblich zur Akzeptanz des neuen Bürokonzepts bei. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das Facility Management gemeinsam mit den Nutzern Erkenntnisse und Erfahrungen aus vergleichbaren Projekten überprüfen konnte. Kritische Erfolgsfaktoren der Flächenentwicklung in offenen Bürozonen sind unter anderem:
- Die IT-/TK-Ausstattung muss so gestaltet werden, dass die räumlich-infrastrukturellen Flexibilitätspotenziale auch in der täglichen Praxis ohne Komfort- und Qualitätsverlust genutzt werden können.
- Eine ausreichende Anzahl an Kommunikations-, aber auch Rückzugsmöglichkeiten sind essenziell für den Erfolg des offenen Bürokonzeptes.
- Rückzugsräume werden intensiver und länger genutzt, als von FM zunächst angenommen. Mit den hohen Nutzungsbreiten (quantitativ, qualitativ, zeitlich) und der Nutzung sowohl für Ad-hoc-Termine als auch für offiziell angesetzte Besprechungen sind unmittelbare Auswirkungen auf die raumlufttechnische Versorgung dieser Räume verbunden, die es zu berücksichtigen gilt.
- Die akustische Konditionierung der Räumlichkeiten ist von sehr hoher Bedeutung für die Zufriedenheit der Nutzer in der offenen Bürofläche.
Seitens FM wird keine Vollbelegung des neuen Areals geplant. Hauptgrund hierfür ist, dass auch nach Bezug des IT-Campus 111 höhere Flexibilität in der Flächennutzung gewährleistet sein muss. Auf diesem Wege kann bei weiterem Personalaufwuchs nach Bezug ein unmittelbar notwendiger Wiederauszug verhindert werden. Auch die Steigerung der Akzeptanz der offenen Bürostrukturen bei den Nutzern ist auf diesem Wege leichter möglich. Dies ist umso wichtiger, da die künftigen Nutzer des IT-Campus 111 bisher nur marginale Erfahrung in modernen Bürostrukturen und deren Nutzung haben.
Fazit zum Pilotprojekt Innovum
Durch die Berücksichtigung der genannten Punkte sieht sich das Facility Management heute noch besser als bislang in der Lage, die Herausforderungen im Neubauprojekt IT-Campus 111 zu meistern und der Softwareentwicklung einen idealen Standort zur Verfügung zu stellen, der die Bedürfnisse der künftigen Nutzer umfassend abbildet. Aus heutiger Sicht wäre dies ohne das Pilotprojekt in dieser Form nicht möglich gewesen. Betrachtet man die positiven Effekte, die das Innovum für DATEV insgesamt gebracht hat, ist festzustellen, dass die Pilotfläche weit mehr Nutzen gestiftet hat als die reine Abdeckung kurzfristiger Flächenbedarfe! Mit einem akzeptablen Mitteleinsatz konnten darüber hinaus Risiken für den Neubau minimiert, nutzerspezifische Erkenntnisse gewonnen und Vorbehalte gegenüber modernen Bürostrukturen abgebaut bzw. Akzeptanz für diese geschaffen werden.
Einsatz der Simulationssoftware More-Space-Office
In 2013 wurde der iterative Prozess zur Belegung des IT-Campus 111 zwischen Facility Management und den künftigen Nutzern angestossen. Besonderes Augenmerk wurde dabei auf die Kommunikations- und Arbeitsprozesse sowie auf die vorhandenen Schnittstellen zwischen den einzelnen Organisationseinheiten gelegt. Dabei waren folgende Fragen vorrangig:
- Welche Kooperations- und Kommunikationsbeziehungen bestehen zwischen den einzelnen Organisationseinheiten?
- Wie können diese Faktoren in die operative Belegungsplanung und -realisierung einfliessen, um die Prozesse der Softwareentwicklung bestmöglich zu unterstützen?
- Mit wie vielen Menschen in welcher Arbeitstypologie (Teilzeitquote, Absenzen, Aufgabenstellung, Hierarchie usw.) sollen die verfügbaren Plätze im IT-Campus 111 bezogen werden?
- Wie sind Gestaltungs- und Nutzungsmöglichkeiten der verfügbaren Büroarbeitsplätze, Rückzugs-, Besprechungs-, Projekt- und Kommunikationsbereiche zu definieren?
Die wesentliche Herausforderung hierbei war, eine flächen- und betriebswirtschaftlich optimierte Antwort zu finden, die den Bedürfnissen und Wünschen der Softwareentwickler, aber auch den Erkenntnissen aus dem Innovum Rechnung trägt.
Innovationsdenken sowie die bestehenden Herausforderungen veranlassten das Facility Management (FM) der DATEV, trotz langjähriger eigener Erfahrungen im FM mit der Simulationssoftware More-Space-Office zu arbeiten. Um schon im Vorfeld der Belegungsplanung die zukünftige dynamische Raumnutzung des IT-Campus 111 zu antizipieren, wurde die Raumnutzung durch virtuelle Mitarbeitende in konkreten Szenarien, z.B. mit und ohne die Nacheinandernutzung von Arbeitsplätzen durch verschiedene Mitarbeitende, simuliert und nach Kennzahlen ausgewertet. Durch die Erfahrungen aus dem Innovum lagen fundierte Informationen vor, um plausible Szenarien zu entwickeln und in den Computersimulationen durchzuspielen.
More-Space-Office ist eine von der Gesellschaft für Immobilienentwicklung mbh (GESIM) in Zürich speziell für den Anwendungsbereich Bürokonzepte entwickelte Software für ereignisbasierte Computersimulation. Ein Simulationswerkzeug, mit dem Räume, die Raumnutzung über die Zeit und das Management von Räumen, konkret das Regime der Zuordnung von Arbeitsplatzbedarfen zu Arbeitsplätzen, abgebildet werden können. Die Simulation hilft konkrete Fragen – insbesondere die Nutzungsintensität von Arbeitsplätzen über die Zeit betreffend zu beantworten. Im Gegensatz zu rein statischen Ansätzen (in der Regel simple Tabellenkalkulationen im Excel) zeichnet sich das More-Space-Office-Werkzeug durch eine systemimmanente, echte Dynamik aus: Anstelle einfacher arithmetischer Operationen tritt die realitätsnahe Abbildung von Ereignissen, deren Eintrittswahrscheinlichkeit bekannt ist, deren genauer Eintrittszeitpunkt aber nicht. Dies betrifft insbesondere die Anwesenheitszeiten der Mitarbeitenden im Büro, aber auch Ereignisse im Büro selbst, wie Arbeitsgruppentreffen, Phasen der Ruhearbeit einzelner Mitarbeitenden u.v.m. Ausserdem verfügen die «Akteure» (u.a. die Büronutzer, das FM) in der Simulation über die Möglichkeit, auf Ereignisse und Systemzustände zu reagieren. Wenn der bevorzugte Arbeitsplatz belegt ist, weicht der Büronutzer auf einen alternativen Arbeitsplatz aus. Das FM kann zeitabhängig z.B. den Arbeitsplatzmix verändern. Betrachtet werden kann von Simulationssoftware More-Space-Office (MSO):
- die Eignung alternativer Systeme (System bedeutet hier Gebäude in Kombination mit einem Regime der Zuordnung von Arbeitsplatzbedarfen über die Zeit zu Arbeitsplätzen) für einen bekannten Systeminput (hier: Arbeitsplatzbedarfe über die Zeit)
- die Leistungsgrenzen eines Systems (hier: Gebäude in Kombination mit einem Regime der Zuordnung von Arbeitsplatzbedarfen über die Zeit zu Arbeitsplätzen) bei unbekanntem Systeminput (hier: Arbeitsplatzbedarfe über die Zeit)
Im Fall des IT-Campus der DATEV wurden für ein bekanntes Gebäude und unterschiedliche Regime der Zuordnung von Arbeitsplatzbedarfen über die Zeit zu Arbeitsplätzen die Leistungsgrenzen ermittelt, wobei die Leistungsgrenzen dann erreicht sind, wenn der Fall eintritt, dass ein Mitarbeitender keinen geeigneten Arbeitsplatz findet, da alle belegt sind.
More-Space-Office hat Fragen zu den Systemgrenzen beantwortet:
Wie viele Mitarbeitende kann der IT Campus bei unterschiedlichen Arten der Zuordnung von Arbeitsplatzbedarfen über die Zeit zu Arbeitsplätzen maximal aufnehmen?
Schlussendlich wurden Fragen zu Systemalternativen durch More-Space-Office beantwortet: Mit welchen Systemalternativen (hier Zuordnung von Arbeitsplatzbedarfen über die Zeit zu Arbeitsplätzen) kann ein bekannter Bedarf (Arbeitsplatzbedarfe über die Zeit) am effizientesten befriedigt werden?
Da More-Space-Office den Systemzustand (Belegung oder Nichtbelegung der verschiedenen Arbeitsplätze) zu jeder Zeit protokolliert und Kennzahlen wie die Auslastung von Arbeitsplätzen oder Baunutzungskosten und CO2-Emissionen pro Büroarbeitsstunde ermittelt, sind die Beurteilung und Verbesserung der Ökoeffizienz insbesondere alternativer Formen des Flächenmanagements leicht möglich.
Benefits durch Nutzungsintensivierung
Nutzungsintensivierung meint hier eine Verdichtung der Ausnützung von Flächenressourcen über die Zeit. Sie wird im Bürobereich vor allem durch die Nacheinandernutzung von Facilities (physische Arbeitsplätze, Besprechungsräume, Rückzugsräume etc.) über die Zeit durch verschiedene Mitarbeitende erreicht. Eine intensivere Nutzung ist allerdings klar abzugrenzen von einer Erhöhung der Anzahl zeitgleich arbeitender Personen auf «gleicher» Fläche und einer damit verbundenen Reduktion von m2 pro Arbeitsplatz. Durch die Nacheinandernutzung von Raumeinheiten oder Arbeitsplätzen wird für eine bekannte Anzahl von Nutzungseinheiten (z.B. x Büroarbeitsstunden) weniger Fläche benötigt. D.h.: die Anzahl der m2 pro Büroarbeitsstunde wird reduziert und damit in Summe die pro Büromitarbeitender anfallenden Baunutzungskosten, CO2-Emissionen u.v.m. Durch intelligente Nacheinandernutzung kann auch mehr Fläche pro Mitarbeitender und dadurch gefühlt mehr Raum zur Verfügung gestellt werden, bei gleichzeitig reduzierter Büroarbeitsfläche. Sogar bei niedrigen Vollkosten von CHF 6000.– pro Büroarbeitsplatz und Jahr macht es einen erheblichen Unterschied, ob ein Büroarbeitsplatz durchschnittlich
1,0 oder 1,3 Mitarbeitenden dient. Eine Studie der TU-Wien & GESIM zeigt, dass bei Grossunternehmen mit über 500 Mitarbeiter/innen bis zu 50% Einsparungspotenzial an Arbeitsplätzen durch Nutzungsintensivierung (hier: Nacheinandernutzung von Arbeitsplätzen) im Vergleich zu einem territorialem Arbeitsplatzmanagement (jeder Mitarbeitende verfügt über einen exklusiven Arbeitsplatz) vorhanden ist. Ökologisch und ökonomisch sinnvoll ist es, Gebäude zu errichten, zu betreiben und zu erhalten, die sich eher durch Nutzungsintensität denn durch Leerstand oder nur gering genutzte Flächen auszeichnen – denn das Kühlen, Heizen und Instandhalten gering genutzter Flächen macht sowohl aus ökonomischer als auch aus ökologischer Sicht keinen Sinn. Der leer stehende Raum erzeugt insbesondere bei Zellenbüros kein Gefühl von grosszügigen Raumverhältnissen.
Autoren
DATEV: Helmut Hamer, Diplom-Betriebswirt (FH), David Schöner;
GESIM: Univ.-Prof. Dipl.-Ing. Arch. Dietmar Wiegand, Univ.-Ass.
Dipl.-Ing. (Arch.) MAS (Real Estate) Alexandra Kovacs
Kontakt: GESIM – Gesellschaft für Immobilienentwicklung mbH
Technopark / Technoparkstrasse 1, 8005 Zürich
Fon + 41 (0)44 445 35 00, www.gesim.ch
Schweizer Energiefachbuch, 2014, S.45-48.
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