Engagierten Bauherren, die ökologisch und ökonomisch nachhaltige Immobilien entwickeln und betreiben wollen, sind heute – auch dank des Schweizer Energiefachbuchs – ein paar Dinge klar: Damit zukünftige Generationen die gleichen Chancen auf ein qualitätsvolles Leben und eine gesunde Umwelt vorfinden, müssen insbesondere die mit unserem Lebensstil und unseren Gebäuden verbundenen klimarelevanten Emissionen zeitnah verringert werden. Gebäude haben im Betrieb weniger Energie für die Gebäudeheizung und -kühlung und für die Warmwasserversorgung zu benötigen, als das bisher war. Gleichzeitig dürfen diese Gebäude nicht dazu beitragen, die mit der Mobilität der Gebäudenutzer verbundenen klimarelevanten Emissionen zu erhöhen. Auch auf die Notwendigkeit, die klimarelevanten Emissionen zukünftig nicht mehr in Bezug zur eventuell kaum genutzten Bruttogeschossfläche zu setzen, sondern sie auf Nutzungseinheiten wie Schulstunde oder Büroarbeitsstunde zu bilanzieren, wurde im Energiefachbuch bereits mehrfach hingewiesen.Mit der Umsetzung der Schweizer Energiestrategie 2050 ist auch eine Erhöhung des Anteils der Energie aus erneuerbaren Quellen verbunden, was häufig als Energiewende bezeichnet wird. Insbesondere bei der Planung von Gebäuden, die selber Energie aus erneuerbaren Quellen wandeln, stehen umweltbewusste Bauherren und Planer und Planerinnen vor einer Reihe neuer Fragen, die wir im Folgenden versuchen werden zu beleuchten, wohl wissend, dass wir sie momentan nicht abschliessend beantworten können.
Bei der Planung von Gebäuden, die Erneuerbare Energie wandeln und ins Energienetz einspeisen oder mit Speichern aktiv zur Stabilisierung insbesondere der Stromnetze beitragen, aber auch bei der Überlegung, Gebäude energieautark zu gestalten und von den Versorgungsnetzen abzukoppeln, wird deutlich: Es gibt eine explizite Beziehung zwischen Gebäuden und Energienetzen. Gebäude sind Bestandteile sich verändernder Energiesysteme und können darin ganz unterschiedliche Rollen einnehmen. Gebäude können:
- Wärme aus erneuerbaren Quellen über Wärmepumpen dezentral vor Ort gewinnen und speichern, den Strombedarf jedoch aus den Versorgungsnetzen decken (Entkopplung thermischer und elektrischer Prozesse);
- Strom aus Erneuerbarer Energie dezentral vor Ort wandeln (zum Beispiel Photovoltaik) und bei Diskrepanzen zwischen Produktion und Nachfrage Strom ins Netz einspeisen oder aus dem Netz beziehen;
- Energieautark werden und sich von den Versorgungsnetzen abkoppeln;
- Strom aus Erneuerbarer Energie dezentral vor Ort wandeln (zum Beispiel Photovoltaik) und wegen der zeitlichen Diskrepanzen zwischen Produktion und Nachfrage lokal kurzfristig speichern (zum Beispiel Photovoltaik-Batteriesysteme) bei gleichzeitiger Implementierung «netzdienlicher Betriebsführung» und dezentralen Lastenmanagements mit dem Ziel, einen Beitrag zur Stabilisierung der Stromnetze zu leisten;
- Strom aus Erneuerbarer Energie dezentral vor Ort wandeln (zum Beispiel Photovoltaik) und sowohl die lokale kurzfristige Speicherung als auch die «netzfreundliche Einspeisung» (die Erbringung systemrelevanter Netzdienstleistungen) und das dezentrale Lastenmanagement zu gewährleisten – mit dem Ziel, einen Beitrag zur Stabilisierung der Stromnetze durch ein lokales Energieversorgungsunternehmen (EVU) organisieren zu lassen.
Die Vielzahl der technischen und organisatorischen Lösungen der dezentralen Wandlung und Speicherung Erneuerbarer Energie und die Vielzahl der Rollen von Gebäuden und Quartieren in den sich ändernden Energiesystemen führen zur zentralen These des diesjährigen Forums:
Gebäude lassen sich nur sinnvoll planen, bauen und betreiben – sinnvoll im Sinne von geeignet, klimarelevante Emissionen insgesamt zu reduzieren und geeignet für sparsamen Ressourceneinsatz zu sorgen, wenn wir sie im Kontext betrachten, und hier insbesondere im Kontext zukünftiger Veränderungen der Energiesysteme und der Energieträger.
Die isolierte Beurteilung von Gebäuden zum Beispiel hinsichtlich ihres rechnerischen Energiebedarfs und ihrer rechnerischen, klimarelevanten Emissionen ist nicht mehr zeitgemäß – wenn sie es denn jemals war. Der Kontext eines Gebäudes ist nicht nur die Klimaregion, in der es sich befindet, und das Nutzerverhalten, das sich verändert oder eben nicht. Die Energiewende – und hier insbesondere der politisch gewollte und mit öffentlichen Finanzmitteln geförderte vermehrte Einsatz von Energie aus erneuerbaren Quellen (Sonne, Wind, Wasser, Geothermie u.v.a.) – ist der Kontext, in dem wir heute planen, bauen und betreiben.
Die Energiewende verändert die Energienetze, macht sie potenziell instabil, macht mitunter den Bau neuer Leitungen und Trassen notwendig und wirft die Frage nach geeigneten Energiespeichern und – neben anderem – auch nach dem Energieträger der Zukunft auf. Engagierte Bauherren und Planer werden zukünftig mit den Energieversorgern und Netzbetreibern planen, bauen und betreiben. Dafür müssen sich Bauherren und Planer hin zur Welt der Betreiber von Energiesystemen bewegen und deren Sprache und Denkweise verstehen lernen – und umgekehrt. Das diesjährige Forum möchte dazu einen Beitrag leisten, indem hier Energiesystemspezialisten zu Wort kommen.
Den Anfang macht Prof. Günther Brauner von der Technischen Universität Wien, da er sich in verschiedenen Forschungsprojekten explizit mit dem Zusammenspiel von energieaktiven Gebäuden, Energienutzern und Energiesystemen auseinandergesetzt hat. Er erläutert die generellen Problemstellungen, die mit der Erhöhung des Anteils Erneuerbarer Energie verbunden sind. Instabilität der Stromnetze, notwendiger Netzausbau, dezentrale vs. zentrale Energiewandlung und Speicherproblematik sind seine Stichworte.
Das Bundesamt für Energie spricht nicht von einer Energiewende, sondern von einer Energiestrategie «weg von fossil, hin zu nachhaltig und erneuerbar». Wir haben mit dem stellvertretenden Direktor des Bundesamts für Energie, Dr. Pascal Previdoli, intensiv über die Energiestrategie 2050 diskutiert, da die technischen Entwicklungen und das mögliche Verhalten von Bauherrschaft und Energieversorgern im Kontext der gesetzlichen Regulierungen und der öffentlichen Förderungen betrachtet werden müssen.
Der Beitrag von Christian Sahli, Roger Trunz und Bernhard Weilharter (Swiss Utility Solutions AG in Bern) gehen explizit auf die mögliche Rolle der energieaktiven Gebäude bei der Stabilisierung (oder Destabilisierung) der Stromnetze ein, wobei eine enge Zusammenarbeit von Immobilieneigentümern und Energieversorgungsunternehmen (EVU) vorgeschlagen wird.
Der Beitrag von Benedikt Vogel skizziert die Ansätze und Forschungsergebnisse des Projekts «Swiss2Grid», das vom Bundesamt für Energie und der Swisselectric Research für ein dezentrales Lastenmanagement gefördert wird. Insbesondere aus den beiden letzten Beiträgen wird erkenntlich, dass das diesjährige Forum nur eine Momentaufnahme darstellen kann. Wie die Problemstellungen, die mit der Erhöhung des Anteils der «renewables» verbunden sind, schliesslich gelöst werden, ist noch nicht klar. Zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang die künstliche Photosynthese zur Erzeugung künstlicher Treibstoffe (und damit die langfristige Speicherung von Erneuerbarer Energie) aus Sonnenlicht, Wasser und CO2.
Bestimmte technische Entwicklungen betreffend Energieproduktion und Energiedistribution sind noch ziemlich unklar. Ebenso unvorhersehbar ist auch, ob und wann sie ausreichend effizient und wirtschaftlich für eine Massenanwendung zur Verfügung stehen werden und wie dies die Situation der Energieversorgung verändern wird. Der Bundesrat hat jedoch durch die Inkraftsetzung des revidierten Energiegesetzes auf den 1.1.2014 und die revidierte Energieverordnung vom 1.4.2014, die die Netzbetreiber verpflichtet, ab 1.1.2015 Eigenverbrauch zuzulassen, wichtige Rahmenbedingungen der Energiewende geklärt. Insbesondere Immobilieneigentümer, Planer und Energieversorgungsunternehmen (EVU) sind nun gefordert, die vorhandenen Spielräume gemeinsam zu nutzen, damit zukünftige Generationen ähnliche Chancen auf ein qualitätsvolles Leben haben werden wie wir heute.
Univ.Prof. Prof. h. c. Dipl.-Ind. Arch. Dietmar Wiegand
Fachbereich Projektentwicklung und -management / Technische Universität Wien
Department of Real Estate Development and Management / Vienna University of Technology
Schweizer Energiefachbuch, 2015, S.6-9.
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