Die Planung von Hochbauten war immer der Versuch, ein extrem komplexes System baulicher Einzelelemente, die nur im sinnvollen Zusammenspiel ihre Leistungsfähigkeit entwickeln, annäherungsweise zu optimieren. Durch die zunehmenden Anforderungen, die Hochbauten heute erfüllen sollen, durch die Verschärfung dieser Anforderungen und auch durch die Zunahme der technisch möglichen Lösungen der baulichen Aufgabenstellung wird der Planungsprozess zu einem Optimierungsproblem – die bauliche Lösung betreffend- und zu einer komplexen Managementaufgabe in Bezug auf die Organisationsstrukturen und -prozesse.ln der Praxis sind Projektentwicklerlinnen und Planer/innen heute immer in Gefahr, auf die zunehmende Komplexität der Planungsaufgaben mit Handlungsweisen zu reagieren, die die Komplexität reduzieren, zugleich aber unklar lassen, was die Qualität der baulichen Lösung ist und ob es bessere Lösungen gegeben hätte:
– nur ein beschränkter Teil der möglichen baulichen Lösungen wird angeschaut
– auf Bewertungsmethoden und Bewertungskriterien, die die Komplexität tatsächlich realitätsnah abbilden, wird verzichtet
– auf bewusst gestaltete und auf konkrete Optimierungsziele ausgerichtete Prozesse und Organisationsstrukturen wird zugunsten von «Altbewährtem“ verzichtet
Vereinfacht formuliert: Wir geben uns mit mittelmässigen Lösungen und Prozessen zufrieden, die im Mittelmass auch nicht sonderlich auffallen. Doch: Wer kann es überhaupt beurteilen? Ein Beispiel: Vor rund einem Jahr wurden wir aufgefordert, für zwei Varianten des Neubaus eines Produktionsbetriebs die Kosten (mit dem Gebäude, der TGA und den Maschinen verbundene Zahlungsein- und -ausgänge) und Benefits (hier: C02-Einsparungen) für die nächsten 12 Jahre zu simulieren. Auf die Frage, in welchem Prozess und mit welchen Bewertungskriterien es zur Auswahl dieser zwei Neubauvarianten gekommen war, konnten die Mitarbeitenden des Planungsbüros eigentlich keine Antwort geben – und das lag nicht an der Grösse oder den Referenzen des Büros. Neben solchen Formen der Scheinoptimierung des Gesamtsystems (hier Gebäude, Maschinen und TGA) finden wir Optimierungen von isolierten Teilsystemen, d.h. ohne Berücksichtigungen des Gesamtsystems. ln diesen Bereich fällt die Erhöhung der Leistungsfähigkeit einzelner Bauteile (z.B. der Fassadendämmung) ohne Kosten-Nutzen-Betrachtung des Gesamtsystems (hier Gebäude), aber auch die Ausblendung des sommerlichen Wärmefalls bei der Energiebilanz von Gebäuden. Wenn unter ökologischen und ökonomischen Aspekten näherungsweise optimierte Gebäude nicht nur zufällig, sondern sicher erreicht werden sollen und dies in Planungsprozessen, die für die Beteiligten keine ständige Überforderung darstellen, muss Forschung sich (a) mit der Optimierung komplexer, dynamischer offener Systeme beschäftigen, denn bauliche Lösungen sind solche, und (b) die Planung als systemische Managementaufgabe begreifen und zur Verbesserung beitragen.
Planung als Optimierungsaufgabe
Die gesetzlichen Anforderungen an Hochbauten haben in den vergangeneo dreissig Jahren enorm zugenommen. Obergrenzen des zulässigen Energiebedarfs für die Gebäudeheizung und die Warmwasserzubereitung sind Standard; der Ruf nach Aktivhäusern und C02-neutralen Gebäuden wird lauter. Aber auch die Anforderungen der Bauherren und Nutzer nehmen zu – gemietet werden z.T. nur noch Immobilien mit britischen oder US-amerikanischen lmmobilienzertifikaten; Nachnutzungsmöglichkeiten sollen Investitionsrisiken eingrenzen; Gebäude sollen mehr erneuerbare Energie wandeln, als sie in der Nutzungsphase benötigen etc.
Wenn Produkte und die Prozesse ihrer Produktion immer mehr und immer höher gesteckte Ziele und Qualitätsanforderungen erfüllen müssen, stellt das für sich betrachtet schon eine enorme Herausforderung dar, insbesondere für die Gestaltung des Prozesses der Produktentwicklung und für die darin involvierten Akteure. Bei der Planung von Hochbauten kommen weitere Herausforderungen hinzu. Die möglichen Ausprägungen einzelner Bauelemente, die technischen Optionen, sind vielfältiger geworden, was zunächst erfreulich ist. Mit einer zunehmenden Anzahl an Variablen und Zielanforderungen wird jedoch der Raum der möglichen Lösungen, der sogenannte Suchraum, grösser. Beim Tausch eines einzigen Bauelements eines bestehenden Gebäudes (z.B. der Fenster) oder einer einzigen Maschine eines Produktionsbetriebs bleibt zumindest die Zahl der Variablen und damit der Suchraum der möglichen Lösungen überschaubar. Bei Neubauvorhaben explodiert dieser Suchraum der möglichen Lösungen und lässt sich auch mit der Rechenleistung aller weltweit verfügbaren Computer nicht mehr vollständig durchsuchen, zumal Entscheidungen ein Bauelement betreffend Auswirkungen auf sinnvolle Ausgestaltungen anderer Bauelemente haben. Eine Optimierung einzelner, isoliert betrachteter Bauelemente ist nur dann möglich, wenn deren Einfluss auf die angrenzenden Systemteile bekannt und gering ist.
Anwendungsorientierte Forschungs- und Entwicklungsarbeiten am Institut für Bauplanung und Baubetrieb der ETH Zürich (Prof. Schalcher) und in Folge an der Stiftungsprofessur für Projektentwicklung und -management der TU Wien (Prof. Wiegand)‘ haben gezeigt: Die integrierte ganzheitliche Betrachtung und Optimierung des Gesamtsystems Bauwerk und Nutzung erfordert die Festlegung von Bewertungskriterien, sinnvolle Formen der Modeliierung (Abstraktion) und Simulation des Gesamtsystems zur schnellen Bewertung von Planungsalternativen und zur Identifikation sinnvoller Suchstrategien. Sinnvolle Planungsmethoden (sprich: Problemlösungsmethoden) sind solche, die
– die Komplexität der Planungsaufgabe respektieren und sinnvoll abbilden
– den nahezu unendlich grossen Raum der möglichen Lösungen weitgehend ausleuchten
– geeignet sind, in kurzer Zeit sinnvolle Lösungswege zu identifizieren, und ohne eine frühzeitige Festlegung auf wenige, vielleicht extrem suboptimale Lösungen auskommen.
Planung als Managementaufgabe
Während der Prozess der Produktentwicklung z.B. in der Automobilindustrie umfangreich erforscht wurde, existiert der Prozess der Immobilienprojektentwicklung mit der Bauplanung als wesent lichem Bestandteil weitgehend unerforscht. Die zentrale Frage, insbesondere im Kontext der energetischen Optimierung von Gebäuden, ist, mit welcher Organisation der Planungsprozesse die zunehmenden Anforderungen an Bauvorhaben in der Planung am effizientesten geleistet werden können:
(a) mit der zeitlich aufeinanderfolgenden Bearbeitung einzelner Aspekte der Planung, der sogenannten «Sequenziellen Planung», oder
– (b) mit neuen Formen der «integrierten Planung“, bei der schon in der Vorstudienphase Bauherrenschaft, Architekten und die diversen Fachplaner zusammen an Lösungen arbeiten und die Folgen einzelner Planungsentscheidungen auf das Gesamtsystem Bauwerk untersucht werden.
Im Rahmen des von der Österreichischen Forschungsfördergesellschaft FFG geförderten Projekts co_be (Cost-Benefits
of the lntegrated Planning)2 wurde erstmals ein umfangreiches arbeitswissenschaftliches Experiment konzeptioniert und durchgeführt, um die Effizienz dieser unterschiedlichen Planungsprozesse zu erforschen. 160 studentische Planer/innen in 40 Teams wurden mit der sequenziellen bzw. integrierten Planung einer Smoothies-Bar beauftragt. Bewertet wurden u.a.:
– Menge der Produktivarbeitszeit
– Höhe der Arbeitszufriedenheit
– Qualität der Ergebnisse
– Höhe des Belastungs- und Konfliktniveaus
– Kosten der Planung
– Fehlerhäufigkeit :der Planung
Quellen der Daten für die Auswertung waren einerseits Selbstaufzeichnungen der Planer/innen und der Experimentatoren, Pre- und Postquestionnaires der Planer/innen und Ergebnisbewertungen Einer Jury. Unter den genannten Rahmenbedingungen konnten keine signifikanten Unterschiede hinsichtlich der Qualität der Planungsergebnisse festgestellt werden.
Zu den integriert arbeitenden Teams:
– es fand eine Verschiebung der Tätigkeitszeiten in die frühen Projektphasen statt
– es wurde wesentlich weniger Arbeitszeit für Besprechungen und Briefings aufgewendet, das heisst, ein höherer Anteil an Produktivarbeitszeit konnte festgestellt werden – die Arbeitsergebnisse konnten bei integrierter Planung in einer kürzeren Zeitspanne, mit einem geringeren Belastungs- und Konfliktniveau und mit einem höheren Grad an Arbeitszufriedenheit erreicht werden
Zur Bewertung der Planungsergebnisse wurden Bewertungskriterien (Grafik 2) und generische Simulationsmethoden (Lifecycle Cost-Benefit Analysis- LCBA) entwickelt. Sie bauen auf Forschungsarbeiten von Prof. Wiegand im Rahmen der Projektentwicklung des Bildungszentrums SeeCampus Niederlausitz auf, einem Passivhaus-Schulbau in Ostdeutschland, gefördert von der BASF AG.
ZurVerbesserung der Bauplanung als Optimierungs- und Managementaufgabe in Zeiten gestiegener Anforderungen und vielfältiger Lösungsmöglichkeiten besteht sicher weiterer Forschungsbedarf. Allein die Anwendung der bisherigen Forschungsergebnisse und der erwähnten Hilfsmittel in Form von Kennzahlen und Simulatlonen (Grafik 1 und 2) trägt dazu bei, eine vorschnelle Festlegung auf suboptimale Planungen zu vermeiden und Planung wieder gestalt- und steuerbar zu machen.
Univ.Prof. Prof. h. c. Dipl.-Ind. Arch. Dietmar Wiegand
Fachbereich Projektentwicklung und -management / Technische Universität Wien
Department of Real Estate Development and Management / Vienna University of Technology
Schweizer Energiefachbuch, 2013, S.35-37.
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